Klaus Böttger
1942 Dresden geboren, kam Klaus Böttger mit seiner Familie über Aachen nach Wiesbaden, wo er 1963 Abitur machte und zeitlebens wohnte. In Mainz absolvierte er ein Studium der Kunstgeschichte, Kunsterziehung, Philosophie und Biologie, konzentrierte sich jedoch schon während des Studiums auf die Arbeit als freischaffender Künstler. Bereits 1964 schuf er erste Radierungen, eine grafische Technik, die er im Lauf seines kurzen Künstlerlebens zur absoluten Perfektion entwickelte. Sein bildnerischen Weg führte ihn von der Verwendung von Elementen des politischen Agit Prop der 68er-Jahre, der Pop Art und des Phantastischen Realismus zu den für ihn später typischen, detailliert ausgearbeiteten Radierungen stimmungsreicher Portraits, Körperbilder und Landschaften. Durch seinen speziellen Einsatz von Licht und seinen durchdachten Kompositionen etablierte er seinen unverkennbaren „Böttger“-Stil. Klaus Böttger starb am 25. November 1992 in Wiesbaden.
Klaus Böttger und die Frage nach der Beständigkeit seiner Kunst aus Anlass seines 80. Geburtstages 2022
Er war einer der besten Radierer, die Deutschland im 20. Jahrhundert hatte – vielleicht liebten ihn die Götter deswegen zu sehr und holten ihn schon im Alter von nur 50 Jahren zu sich. Das war 1992. Heute, mehr als 30 Jahre nach seinem Tod, kann man sich ansehen, ob das künstlerische Werk Böttgers, das schon Mitte der 1960er-Jahre, während seines Studiums in Mainz, seinen Anfang nahm, vor der Zeit Bestand hat.
In den Sechzigern habe es einen Aufbruch der Künste gegeben, den es so vorher nur in den Zwanzigern gegeben habe – beide Male sei die Gesellschaft im Umbruch gewesen, meint der Kunsthistoriker Andreas Beitin. Der Vietnamkrieg, die Ästhetik der gegen das kulturelle Establishment gerichteten Popkultur, aber auch die Enttabuisierung des Sex in der öffentlichen Bildkommunikation waren die Themen, denen sich Künstler in Westdeutschland auch schon einige Jahre vor 1968 widmeten.
Es verwundert nicht, dass die Auseinandersetzung mit diesen auf politische und gesellschaftliche Veränderung drängenden Motiven der Druckgrafik einen enormen Aufschwung verschaffte. Statt des Tafelbildes, das nur von wenigen gesehen wird, um dann in privatem Besitz zu verschwinden, bot die Druckgrafik die Möglichkeit, das künstlerische Sendungsbewusstsein an hundert oder mehr Rezipienten zu adressieren. Viele große Meister/innen der westdeutschen Druckgrafik sind Altersgenossen von Klaus Böttger (*1942): Wolfgang Werkmeister (*1941), Volker Sammet (*1941), Jürgen Wölbing (*1942), Gertrude Degenhardt (*1940), Christoph Meckel (*1935), Johannes Grützke (*1937), Bernhard Jäger (*1935), Peter Sorge (*1937), Ali Schindehütte (*1939), Uwe Bremer (*1940), u.v.a. Vorbild für viele war der etwas ältere Horst Janssen (*1929).
Das Werk von Klaus Böttger ist lückenlos dokumentiert – dafür hat er durch die Herausgabe von insgesamt vier Bänden seines Werkverzeichnisses gesorgt. Das erste erschien bereits 1975 und gibt Einblick in die Anfänge der Entwicklung seiner künstlerischen Handschrift: Es sind oft erschreckende Bilder von Folter und Verletzung einerseits, aber auch bildgestalterische Experimente, die das Prinzip der Collage in die Druckgrafik überführen und mit den ornamentalen Formen der Popkultur spielen.
Mitte der Siebzigerjahre bildet Böttger seinen unverwechselbaren Stil der Farbradierung heraus: die Figuren werden fast fotorealistisch, scheinen aus den Tiefen der Platte gerade erst die Oberfläche durchstoßen zu haben, die Landschaft wird ein vorherrschendes Sujet, erste politische Portraits u.a. von Erich Mühsam und Erst Toller zeugen von seiner großen Begabung in diesem Genre. Böttger erarbeitet seine Bildlösungen akribisch, zuerst durch Auswahl von fremden und eigenen Fotovorlagen, die er in Bleistiftskizzen verfremdet und die dann in einem Prozess von einem Dutzend oder mehr Zustandsdrucken zu ihrer endgültigen Form reifen.
Zustandsdrucke entstehen, indem der Künstler bei der Ätzradierung (= Kupferplatte ist mit Asphaltlack überzogen, in diesen kratzt die Radiernadel die Zeichnung, durch ein Bad der Platte in Säure werden an den von Lack ungeschützten Stellen Vertiefungen ins Kupfer geätzt, zum Drucken in diese Vertiefungen Farbe gegeben, die feuchtes Büttenpapier unter hohem Druck heraussaugt) immer wieder die noch unfertige Platte zur Kontrolle, was denn da im Druck zu sehen ist, ins Säurebad gibt. Gesundheitsfördernd ist diese Arbeit nicht.
Ein Wort zum künstlerischen Genre des – meist weiblichen – Akts: Blättert man durch Böttgers Werkverzeichnis, fühlt man sich in unendlich ferne Zeiten zurückversetzt, denn in der aktuellen Druckgrafik kommt der Akt kaum noch vor. Das liegt daran, dass die völlig berechtigte Kritik an pornografischen und herabwürdigenden Darstellungen des weiblichen Körpers dazu geführt hat, dass manch Kreti und Pleti fordern, die Aktdarstellung als solche zu tabuisieren.
Das ist natürlich unsinniger Vulgär-Moralismus, denn der nackte menschliche Körper ist seit mehr als 25.000 Jahren Gegenstand der Bildenden Kunst und wird es immer bleiben. Aufgabe der zeitgenössischen Kunstbetrachter ist es, einen differenzierten Standpunkt zu entwickeln, der zwischen künstlerischer Interpretation der Wirklichkeit und pornografischer Geschäftemacherei zu unterscheiden vermag und dazu beiträgt, die Freiheit der Kunst zu verteidigen gegen die platte Gleichsetzung von Akt und „Me too“-Crime.
Klaus Böttger hat seine Herangehensweise an die Aktdarstellung in den Werkverzeichnissen 2 und 3 dokumentiert: Oft verwendete er Bildvorlagen aus Illustrierten oder der Werbung, am Ende fokussiert er die Radierung auf das Gesicht des Modells, der Körper bleibt im Ungefähren. Aus puppenhaften Posen auf den Fotovorlagen werden bei ihm erwachsene Frauen, denen seine Adaption ihre Würde zurückgibt. Das macht Kunst!
Böttger, ein unglaublich guter Zeichner, hat nur wenige Bücher illustriert – die Originale dazu waren übrigens immer schon verkauft, bevor er überhaupt den ersten Strich gesetzt hatte. Legendär ist sein riesiger Prachtband (ca. 50 x 50 cm) über Hans Christian Andersen, der wohl für fürstliche Bücherregale konzipiert war. Für die Büchergilde illustrierte er zwei Romane von Ambrose Bierce über den amerikanischen Bürgerkrieg, Gustav Reglers „Juanita“ über den spanischen Bürgerkrieg, und er schuf den wunderbaren Buchumschlag für Umberto Ecos „Der Name der Rose“.
Böttgers Lebenswerk erfuhr 1990 seinen Höhepunkt in einer Serie von 14 radierten Portraits klassischer Komponisten aus dem deutschsprachigen Raum, in der seine mannigfachen Meisterschaften kulminierten: Porträtsicherheit, splendide Bildkomposition, die Fähigkeit, Geschichte und Aura in einem Bild zusammenzuführen, last not least, all dies in radierter Perfektion umzusetzen. Angesichts dieses gigantischen ikonografischen Zyklus mag man sich besser gar nicht ausmalen, welches Werk der Welt durch den tragisch frühen Tod des Künstlers entgangen ist.
Die eingangs gestellte Frage nach der Zeitbeständigkeit von Klaus Böttgers Grafiken ist damit implizit positiv beantwortet. Sein Werk ist auch zu seinem 80. Geburtstag unverändert aktuell.
Wolfgang Grätz
im Juni 2022, 234. Frankfurter Grafikbrief
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