Ausnahmezustand 2021 - Ausstellung I

Die drastisch eingeschränkten Präsentationsmöglichkeiten, die mit der zeitweiligen Schließung von Galerien und der Absage von Messen in derb zeit der Corona-Pandemie einhergehen, zwingen Künstler/innen dazu, andere Möglichkeiten der Existenzsicherung zu suchen.

Daher ist diese Ausstellung, die hier dokumentiert wird, angeordnet wie ein Gang von Künstlerständen auf einer Messe, und wir haben zahlreiche Künstlerinnen und Künstler aufgefordert, für diese außerordentliche Ausstellung zwei besondere Exponate aus ihrem „Lager“ auszusuchen. Es sollte nichts auf die aktuelle Situation hin Produziertes sein, und es soll kein „Schnäppchen-Markt“ werden im Sinne von: Die Not ist groß, jetzt muss billiger verkauft werden. Dieses Vorgehen mancher Galerien entwürdigt für unser Gefühl Kunst, Künstler und Kunstliebhaber.

Vielmehr sollte es darum gehen, wenn möglich etwas Rares, Unterschätztes oder überraschend Entdecktes auszuwählen, oder etwas, wovon sich der Künstler selbst nicht leicht trennt, so wie Andrea Lange auf unsere Bitte um Druck, Druckstock und Zeichnung eines Selbstportrait-Holzschnittes schrieb: „…geht schon. Aber da geht wirklich ein Stück Herz mit weg.“

Wir haben außerdem alle teilnehmenden Künstler/innen darum gebeten, dass sie als Zeichen der persönlichen Verbundenheit mit den jetzt Kaufenden jedem Exponat einen Autografen beigeben, einen selbst ausgewählten und von Hand geschriebenen Text, Aphorismus oder Gedicht. Mancher schreibt eigene Texte, mancher fremde (manche gar keinen). Einige haben Texte in Holz geschnitten und die Drucke signiert. Wir haben vereinbart, dass auch diejenigen, die im Zeitraum der Ausstellung etwas anderes von den beteiligten Künstlern als die Ausstellungsexponate kaufen, einen solchen Autografen erhalten. Ist die Nachfrage groß, kann es sein, dass der Autograf nachgereicht wird, denn es gibt keine Massenvorproduktion.

Diese Ausstellung zu organisieren beinhaltet auch für uns eine Konfrontation mit Ungewohntem. So werden wir erst einigermaßen spät darauf aufmerksam, dass Künstlerinnen im Moment das gleiche Problem wie viele andere Frauen haben – dass nämlich angesichts geschlossener Kitas und Schulen plötzlich ganztags die Kinder durchs Atelier toben, und die „goldene Grafikerinnen-Generation“ der um die 40-Jährigen, die gerade für aufregende Innovation und Produktivität in der zeitgenössischen Druckgrafikkunst sorgt, hat „daneben“ oft 2, 3 oder 4 Kinder.

Teilweise haben wir konkrete Wünsche nach einzelnen Kunstwerken angemeldet wie bei Andrea Langes Selbstportrait oder bei Klaus Süß‘ Federzeichnungen zu seiner „Carmen“-Illustration, teilweise haben Künstler ältere Arbeiten durch die gegenwärtigen Situation als aktualisiert empfunden, wie Günther Huniat seinen „Euro-Engel“.

Nicht alle Angefragten nehmen teil – manche konnten es nicht so kurzfristig in den eigenen Arbeitsprozess integrieren, manchem erschien eine Teilnahme nicht zur eigenen Situation zu passen, usw. Und es gab viele weitere, die wir noch hätten anfragen können (und wahrscheinlich für eine zweite Ausstellung tun). Das bedeutet, dass die Künstlerliste weder eine Auswahl noch einen Ausschluss ausdrückt, kein Ranking, keine Rangfolge. Und ist doch so eine Art Teil-Gotha der zeitgenössischen Druckgrafik- und Buchkunstszene, Künstler/innen von 37 bis 93 Jahre alt. Was wir hier anbieten, hat wahrscheinlich auch noch dann Bestand, wenn das Corona-Virus und unsere Ängste, Sorgen und Beschränkungen längst Literatur geworden sein werden.