Johannes Grützke

Johannes Grützke 1937 bis 2017
Ein Unsterblicher hat aufgehört zu malen.
Ein Nachruf

Immer wenn ich ihm in seinem Atelier in Berlin-Schöneberg gegenübersaß, zuletzt Anfang vergangenen Jahres, als er bereits von seiner Krankheit gezeichnet war, verspürte ich eine Mischung aus Faszination, Ehrfurcht und Verlegenheit. Verlegenheit, weil ich dachte, was ist das für ein großzügiger Mensch, der mir Stunden seiner wertvollen Zeit opfert für ein launiges Gespräch über vieles und jenes, einfach nur so, und dem ich bei seiner grandiosen Bildung und seinem unerschöpflichen detaillierten Wissen zu allem, worüber er sprach, nicht das Wasser reichen konnte. Er war ein Forscher!

Hauptgegenstand seines Forschungseifers zur Beschaffenheit von Mensch, Kunst und Gesellschaft war – er selbst. Denn niemanden kannte er besser, niemand gab ihm ehrlichere Antworten, niemanden konnte er gefahrloser mit absolut ungeschminkter Darstellung selbst peinlichster Momente entblößen als sich selbst. So wie der Brecht‘sche Herr Keuner (Keuner ist keiner, keiner ist einer, einer ist Brecht) hat der Forscher Grützke den Herrn Johannes Grützke in seinen Bildern, Zeichnungen, Grafiken gedreht und gewendet, vermessen und gespiegelt, beobachtet und dokumentiert. Herausgekommen ist ein umfassendes Bild des Menschen.

Der Immer-Berliner Johannes Grützke feierte seine größten Erfolge auswärts: zum Beispiel als Bühnenbildner und künstlerischer Berater von Peter Zadek 1985 bis 1988 am Deutschen Schauspielhaus in Hamburg, unter anderem inszenierten sie die legendäre Aufführung der Urfassung der „Lulu“ von Frank Wedekind; als Gastdozent an der Hochschule für Bildende Künste in Hamburg und als Professor für Malerei an der Akademie der Bildenden Künste in Nürnberg; vor allem aber mit seiner monumentalen Ausmalung der Rotunde der Frankfurter Paulskirche, ein Auftrag, den er im Wettbewerb mit der Creme der bundesdeutschen wie der DDR-Kunstszene 1987 gewonnen hatte.

Das 32 mal 3 Meter messende kolossale Gemälde „Der Zug der Volksvertreter“ (in die verfassunggebende Versammlung in der Paulskirche 1848), das täglich bei freiem Eintritt besucht werden kann, bemüht sich nicht, die historischen Abgeordneten zu porträtieren, sondern würdigt das demokratische Parlament als den Ort, wo Hinz und Kunz ihr eigenes Schicksal in die Hand nehmen. Eine entschiedene Stellungnahme für die Egalité!

Dass der nicht anders als genial zu bezeichnende künstlerische Alleskönner und Perfektionist Grützke andererseits auch das Porträt für solch entschiedene Stellungnahmen zu nutzen wusste, davon zeugt z.B. sein mit einem Diamanten radiertes überlebensgroßes Porträt des knapp gescheiterten einzelgängerischen Hitler-Attentäters Georg Elser, den er auf diese Weise dem Vergessen zu entreißen half.

Die Büchergilde, für deren artclub der mit der Lithografie-Druckerei Tabor Presse eng verbundene Künstler zahlreiche Originalgrafiken schuf, hat sich des Öfteren bemüht, dem überfüllten Projekteplan des Künstlers Zeit für eine Buchillustration zu entringen – und glücklicherweise ist das mit der zum 90. Geburtstag der Büchergilde 2014 erschienenen Novelle „Michael Kohlhaas“ von Heinrich von Kleist dann schließlich auch gelungen.

Die Büchergilde hat mit dem Tod von Johannes Grützke einen guten Freund verloren, das ganze Land einen der wenigen, vielleicht den einzigen großen Bildenden Künstler, der ohne jedes Schielen auf Moden, gerade „Angesagtes“, Kunstmarkt und -marketing unbeirrt seine ganz und gar eigenständige Haltung zu Mensch, Kunst und Gesellschaft entwickelte, mit omnipotenten künstlerischen Mitteln, brillantem Intellekt und hintersinnigem Humor. Er ist unersetzbar.

Wolfgang Grätz

Einige persönliche Anmerkungen, 211. Frankfurter Grafikbrief Juli 2017:

Ich glaube, die Größe des Verlusts, den die Kultur und die Kunst dieses Landes durch den Tod von Johannes Grützke erlitten hat, wird man erst nach und nach erspüren, hauptsächlich da, wo seine Stimme und seine (Gegen)Position fehlen werden.

Er hat sich selten aus dem Fenster gelehnt, aber allein die Existenz seiner einzigartigen Malerei und Grafik, die er ganz ohne das Lärmen einer gewaltigen Marketingmaschine in die Welt brachte, verwies den aufmerksamen Beobachter auf die Fadenscheinigkeit manch prominenter Kunstproduktion und deren Marktgebahren.

Seine Bildsprache hat er kontinuierlich weiterentwickelt, was auch bei mir manchmal Verstörung auslöste, wenn er die eben lieb gewonnene Figuration gleich wieder auflöste. Ich berauschte mich geradezu an den ersten Bildern aus der „Schule der neuen Prächtigkeit“, in denen einladend grinsende Alter Egos des Künstlers, wie geklont, den Betrachter durch ihre sinistre Freundlichkeit das Gruseln lehrten. Ich hätte gern, ähnlich wie bei Ueckers Nagelbildern, diesem Bild-Personal wie in einer Vorabendserie bei ihrem weiteren Lebensverlauf zusehen mögen.

Doch das war Grützkes Sache nicht, einen neu gefundenen Weg so lange zu begehen, bis sich ein Trampelpfad bildet, den dann alle finden. Er begriff sich als Forscher des menschlichen Daseins, war so neugierig, interessiert und unglaublich gebildet, dass ihn markenprägende Wiederholungen schlicht anödeten. Seine umfassenden handwerklichen Fähigkeiten erstaunten, ich erinnere mich gut, dass unsere erste Grafikausstellung hier in Frankfurt viele Künstler anzog, die ganz dicht an die Radierungen, die teilweise mit dem Diamanten ins Kupfer geritzt waren, herangingen, um zu gucken: Wie hat er das nur gemacht!

Den Vielbeschäftigten für eine Buchillustration für die Büchergilde zu gewinnen, scheiterte häufig an der ihm fehlenden Zeit. Zum Schluss gelang es doch noch. Es ging um einen Prachtband mit Novellen von Heinrich von Kleist, den wir zum 90-jährigen Bestehen der Büchergilde herausbringen wollten, mit drei Illustratoren aus drei Generationen. Natürlich war für uns Grützke der absolute Favorit für Kleists „Michael Kohlhaas“, aber ich wagte einzuwenden, dass wir noch einen Plan B bräuchten, falls Grützke wieder absagt. Woraufhin die Herstellungsleiterin der Büchergilde, Cosima Schneider, die schon bei der Anderen Bibliothek einen von Grützke illustrierten Band betreut hatte, regelrecht wütend wurde: „Keinen Plan B, ich will den Grützke!!!“

Dergestalt unter Druck habe ich das dem Künstler eins zu eins kolportiert und auch, dass ich mich ohne seine Zusage nicht mehr bei C. Schneider blicken lassen könne. Da hat er mir aus der Patsche und der Büchergilde zu jenem wunderbaren Buch verholfen, das 2014 erschienen ist.

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Johannes Grützke – Drucker an der Lithografie-Presse

Orig.-Lithografie

Ursula Krechel/Johannes Grützke – Mein Hallo dein Ohr

87. Druck der Quetsche

Johannes Grützke – Theater der Menschheit

VERKAUFT!

Johannes Grützke – Der eingesperrte Mephisto

Orig.-Farblithografie

Ivan Turgenjew

Orig.-Lithografie/Linolschnitt

Johannes Grützke/ Heinrich v. Kleist – Michael Kohlhaas u.a.1

Künstlervorzugsausgabe

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Johannes Grützke/ Heinrich v. Kleist – Michael Kohlhaas u.a.2

Künstlervorzugsausgabe

Wie ein Votivbild

Radierung 2000

Die Eltern beschweren sich über ihre Tochter

Radierung 2000

Nachts weint sie die Füße der Eltern naß

Radierung 2000

Im Tempel der Kunst

Kaltnadelradierung mit dem Diamanten 1993

Anhörung des Berichts

Kaltnadelradierung 1998

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Joahnnes Grützke - Ahnung, Neugier, Poesie

Schabradierung 1993

Heinrich von Kleist – Michael Kohlhaas/Die Marquise von O.../Der Findling

Vorzugsausgabe

Schlagfluss

Bleistiftzeichnung

Kohlhaas, indem er ... sein Pistol zog ...

Bleistiftzeichnung

Vor ihrem Bette

Bleistiftzeichnung

Tritt

Bleistiftzeichnung

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Johannes Grützke- Am Baum

Orig.-Lithografie 2006

In Hosen mit Tüten

Orig.-Lithografie 2006

Das Huhn

Orig.-Flachdruckgrafik 2014

Aus dem Leben des Marquis de Sade

7 Original-Radierungen

Schadow und das Gewandproblem

Orig.-Lithografie 2008

He, Schadow

Orig.-Lithografie 2012

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Schadow mit Zieten und dem alten Dessauer

Orig.-Lithografie 2005

Johannes Grützke - Freiheitsfreund weist auf das frohe Zeichen in der Pfütze (Heckerzug 1848)

Aus einem Baumstamm pflückt ein Freiheitsfreund eine Gewehrkugel (Heckerzug 1848)

Ein Freiheitsfreund trifft einen anderen im Wald beim Scheißen (Heckerzug 1848)

Johannes Grützke - Konditor sticht in seine Hand

Lithografie 1991

Abendmahl im Michel

Orig.-Farblithografie 1999