Schwarzweiß
Nur Schwarz und Weiß!
Purismus oder höchster Sehgenuss?
Edgar Degas, einer der Großmeister des Impressionismus, also der Malerei, die sich doch der Wiedergabe unmittelbarer Sinneswahrnehmung verschrieben hatte, wünschte sich ein zweites Leben: Dann, so der französische Maler, „würde ich alles nur in Schwarz und Weiß machen“...
Impressionismus, darunter versteht man zu allererst helle, lichtdurchflutete Kompositionen mit leuchtenden Farben. Aber Impressionismus schwarzweiß? Ja, denn „viele Impressionisten haben gezielt schwarzweiß gearbeitet, um auf diese Weise ihre Kunstauffassung bewusst zu transportieren. Im Vordergrund stand das Experiment: Wie kann man die Atmosphäre eines Augenblicks mit reduzierter Farbsprache ausdrücken?“ Nico Kirchberger). Als Medium solcher Bemühungen wählten Degas, Renoir, Pissarro, Cézanne und Manet – Druckgrafik, vor allem Lithografie und Radierung.
Wir sind heute von farbigen Bildern überflutet. Wenn man bedenkt, dass es noch in den 1930er-Jahren der Arbeit des Lithografen bedurfte (ein eigener Ausbildungsberuf, der es verstand, eine farbige Vorlage ohne fotomechanische Unterstützung seitenverkehrt in Einzelfarben auf mehrere Lithosteine zu übertragen, deren Zusammendruck dann ein fast fotorealistisches Farbbild ergab), um farbige Plakate für die Werbung zu produzieren, sieht man den Quantensprung. Heute hat fast jeder einen eigenen Farbdrucker zu Hause, Farbe zu produzieren ist einfacher und preiswerter als Schwarzweiß, beispielsweise bei Fotoabzügen, weil das ein Minderheitenthema geworden ist. Da kann eine schwarzweiße Darstellung zur Augenerholung und fürs Gehirntraining sehr willkommen sein.
Die heute allgemein akzeptierte Farblehre stammt von dem Bauhaus-Künstler Johannes Itten (1888 bis 1967), daran ändert auch seine Zugehörigkeit zu einer obskuren völkischen Sekte (auch das gab‘s im Bauhaus) nichts: Danach sind die Grundfarben, aus denen sich alle anderen Farben zusammenmischen lassen, Rot, Gelb und Blau. Schwarz und Weiß hingegen werden als „Nichtfarben“ bezeichnet.
Unsere Farbwahrnehmung entsteht durch das Licht, das aus elektromagnetischen Wellen besteht. Treffen sie auf einen Gegenstand, werden sie von diesem teilweise absorbiert und teilweise reflektiert. Eine gelbe Wand reflektiert die gelben Lichtanteile und schluckt alle anderen, ein roter Rock die roten. Darum nehmen wir sie als gelb oder rot wahr. Schwarz schluckt alles Licht. Weiß wirft alles Licht zurück. (Deshalb hieß es mal, weiße Autos seien die sichersten, weil sie von den anderen Verkehrsteilnehmern am besten gesehen werden).
Wenn eine farbige Wirklichkeit künstlerisch auf den Grundkontrast von Schwarz und Weiß reduziert wird, dann scheint das auf eine biologische Determiniertheit des Menschen zu treffen. Unser Gehirn imaginiert Farben nach eigenem Gusto hinzu, d.h. wir sehen schwarzweiß und denken farbig. Wählte der Künstler statt des Schwarzweiß-Kontrasts beispielsweise einen Rotgelb-Kontrast, reagieren wir irritiert (Der Fotokünstler Richard Avedon hat auf diese Weise mal die Portraits der Beatles verfremdet).
Eines ist klar: Sehen wir eine schwarzweiße Darstellung, muss sich unser Gehirn mehr anstrengen als bei einer farbigen Darstellung, um zu begreifen, was da los ist. Unser Gehirn ist aber – wie bei allen Lebewesen – auf Energiesparen programmiert: Je mehr Aufwand es betreibt, desto mehr Nahrung braucht es, und wer weiß, ob es die immer zur Verfügung hat. Daraus folgt, dass wir ein gewisses Missbehagen spüren, wenn uns der Anblick einer Schwarzweiß-Abbildung zugemutet wird. Er verheißt aber auch eine Belohnung, sonst würden wir die Anstrengung des Schwarzweiß-Betrachtens an sich meiden: Die aufwändigere Seh-Arbeit verschafft uns grundsätzlichere Einblicke in das Wesen der Dinge. Fazit: Die Impressionisten wussten schon, warum sie gern mal auf die Verlockung der Farbe verzichteten.
Sie waren beileibe nicht die Ersten: Über Jahrhunderte hinweg haben sich Künstler immer wieder den Herausforderungen und Möglichkeiten der Schwarzweiß-Darstellung bedient. Bis zum 16. Jahrhundert bestimmten weitgehend sakrale und religiöse Gründe die Hinwendung zu „Grisaille“ – der Arbeit in Schwarz, Weiß und Grau. Auf van Eycks Diptychon „Die Verkündigung“ (um 1435) erscheinen die in Öl gemalten Figuren der Jungfrau Maria und des Erzengels Gabriel in Weiß auf Schwarz wie aus Stein gehauen. Albrecht Dürer gelingt es, mit einer reinen Linientechnik wie dem Kupferstich zarteste Grauwerte zu erzielen, Flächen zu gestalten, Licht einzufangen und Materialien wie weichen Pelz von glattem Seidendamast zu unterscheiden. Jean-Auguste-Dominique Ingres malte auch eine Schwarzweiß-Version des berühmten Frauenaktes „Die große Odaliske“, Rembrandts Werk besteht, wie man an der aktuellen Amsterdamer Ausstellung zu seinem 350. Geburtstag sehen kann, zu fast 90 Prozent aus schwarzweißen Radierungen und Zeichnungen. Das Bauhaus kleidete die reduktive Absicht in den Slogan „Weniger ist mehr“.
Unsere Ausstellung zeigt zeitgenössische Druckgrafik, die bewusst auf Farbe verzichtet und oft sogar auf Grauwerte, der Mischung aus Schwarz und Weiß. Der absolute Meister in diesem Genre ist sicher Rolf Münzner mit seiner Technik der Schablithografie: Hier wird der Druckstein mit einer Asphaltschicht überzogen und es können mit Hilfe eines scharfen Messers minimalste Ausschabungen vorgenommen werden, die im Druck dann weiß bleiben, ein Hauch von Licht. Hans Ticha, ein Meister der farbigen Druckgrafik jeglicher Technik, hat zwischen 2008 und 2010 ganz bewusst mehrere Zyklen von Schwarzweiß-Holzschnitten geschaffen – um mal Buntigkeit aus dem Kunstbetrieb zu nehmen.
Hansen-Bahia (1915 – 1978) verzichtete in seinem umfangreichen Holzschnittwerk Werk weitgehend auf Farbe, Angela Hampel malt stark farbig und reduziert sich in der Druckgrafik ganz auf schwarzweiß. Eric Seidel aus Plauen hat soeben eine ganze Serie von eindrucksvollen SW-Lithografien vorlegt, Johannes Heisig portraitierte Franz Schubert und Dmitri Schostakowitsch mit schwarzer Litho-kreide, seine Frau Antoinette Regine Hildebrandt in gleicher Manier. Von Johannes Grützke zeigt die Ausstellung eine seltene Schabradierung, und natürlich Gertrude Degenhardts skurriles Tanzpersonal, von Frans Masereel nachlasssignierte Orig.-Holzschnitte. Die Büchergilde vergab 2004 einen Illustrationsauftrag für Jules Vernes „Reise um die Erde in 80 Tagen“ an die Scherenschnittkünstlerin Sarah Schiffer – das Buch ist in der Vorzugsausgabe in der Ausstellung zu sehen. Dies als kleiner Auszug aus der großen Vielfalt des einfachen Schwarzweiß.