DDR-Grafik

Es geschehen noch Zeichen und Wunder: In renommierten Museen in West-und Ostdeutschland fanden 2019 große Übersichtsausstellungen zur DDR-Kunst statt, und das ohne Siegerniedertracht wie bei der 1999 von dem Kölner Professor Achim Preiß in Weimar angerichteten Schau „Die Kunst der DDR“, in der DDR- und Nazikunst gleichgesetzt wurde, ein Vorgang, der unter dem Stichwort „Weimarer Bilderstreit“ Eingang ins Internetlexikon Wikipedia gefunden hat. Nicht einmal der ursprünglich aus Dresden stammende Kopfstandmaler wiederholte jetzt seine 1990 getätigte Pauschalverunglimpfung aller in der DDR verbliebenen Künstler:

„Alles Arschlöcher“. Für mich war das ohnehin nur Ausdruck der großen Konkurrenzangst vor den neuen ostdeutschen Mitbewerber/inne/n und ihrer malerischen und künstlerischen Qualität – warum sollte es auch in der Kunst anders zugehen als in der Industrie?

Leider verzichten praktisch alle neuen DDR-Kunstschauen auf die Präsentation von Druckgrafik – das finde ich so fatal, dass ich mein Ausstellungsprogramm kurzfristig geändert habe, um diese Lücke zu füllen. Denn die Alltags-kultur der DDR ist nicht angemessen widerzuspiegeln und auch nicht zu verstehen, wenn man nicht die bedeutende Rolle der DDR-Druckgrafik beleuchtet. Vor allem, wenn man bedenkt, dass in der DDR „Drucksachen“ mit einer Auflage von weniger als 100 Exemplaren nicht der Zensur unterlagen. Ein Bild wie Steffen Volmers Lithografie „So viele Lügen“, 1989 anlässlich der manipulierten Kommunalwahlen entstanden, hätte als großes Gemälde keine Ausstellungschance gehabt, fand als Grafik hingegen sein Publikum. So begibt sich eine Ausstellung ohne Druck-grafik um die Chance ein umfassendes wirklichkeitsgetreues Bild der DDR-Kunst zu zeigen.
Druckgrafik stand aus mehreren Gründen in der DDR hoch im Kurs: Thema früher Kulturdebatten in der Arbeiterbewegung war die Frage der Aneignung des „bürgerlichen Erbes“, worunter durchaus auch der Zugang zu originalen Kunstwerken verstanden wurde. Die Druckgrafik bot die Chance, diese Programmatik vergleichsweise unaufwändig umzusetzen und damit auch noch an den deutschen Expressionismus anzuschließen, einer ersten Blütezeit der Druckgrafik in Deutschland, deren Künstler/innen zudem soziales und politisches Engagement in ihr Werk einfließen ließen. Last not least verfügte die DDR mit der Druckgrafik über ein erschwingliches Luxusgut für ihre Bürger, das weder importiert werden musste noch sehr rohstoffintensiv war.

Auch von der Produzentenseite, den Künstlern aus gesehen, hatte Druckgrafik in der DDR große Vorteile: Man konnte mit ihr auch ohne Staatsaufträge eine weitgehend autonome Existenz führen und durch den Verkauf von vier bis fünf Grafiken im Monat einen wenn auch bescheidenen Lebensunterhalt erwirtschaften. Vorausgesetzt freilich, dass man in den Künstlerverband aufgenommen worden war. Diese Mitgliedschaft erwarb man in der Regel durch ein Hochschulstudium oder eine verbandsinterne Prüfung, andernfalls machte man sich des strafbewehrten „Vagabundentums“ schuldig. Der Verbands-Künstler aber war ein freier Unternehmer (sic!), der sich um öffentliche wie private Aufträge und Ausstellungen bewerben konnte, dem der freie Handel mit seinen Werken erlaubt war (natürlich Repressionen unterliegen konnte) und der sich sozialversichern musste.

Gerade im Bereich der Druckgrafik gab es eine durchaus vorbildliche Strukturpolitik in der DDR. So führte ab 1977 der Staatliche Kunsthandel gemeinsam mit dem Künstler-verband jährlich einen Wettbewerb um „100 Ausgewählte Grafiken“ durch, zu dem alle Künstler/innen Grafiken ein-reichen konnten. Die Arbeiten der 100 ausgewählten Gewinner/innen wurden in einem Katalog abgebildet und in Galerien in sieben DDR-Städten zum Verkauf gestellt – in unserer Ausstellung kann man sich ein Bild von diesen Wettbewerben machen und in den Katalogen blättern.

Der Staatliche Kunsthandel trat auch selbst als Verleger von mehr als 600 Druckgrafiken auf, daneben gab es aus-gesprochen renommierte Grafikeditionen von literarischen Verlagen, allen voran die des Leipziger Reclam Verlages mit seinen nachgerade legendären Grafikmappen, die mittelbar auch mich zu einem Spezialisten für DDR-Druck-grafik machten: Teilauflagen dieser Grafikmappen erschienen häufig in der BRD exklusiv bei der Büchergilde, und dies schuf bei uns Nachfrage auch nach weiteren Arbeiten von DDR-Künstlern, der ich gerecht zu werden suchte.

So kam es, dass ich die allermeisten Künstler und Künstlerinnen, deren Arbeiten jetzt in unserer Ausstellung zu sehen sind, persönlich kennengelernt habe, von Wolfgang Mattheuer bis Nuria Quevedo und noch viele mehr, die jetzt hier nicht vertreten sind, weil wir wirklich nur Arbeiten zeigen, die vor 1990 entstanden sind. Ein Fokus liegt auf dem Jahr 1989, weil es spannend ist, den Nieder-schlag der gesellschaftlichen Gärung in der Kunst nachzuvollziehen. Die Titel sprechen für sich:

„So viele Lügen“ (Steffen Volmer), „Brücken bauen“ (Klaus Süß), „Dresden im Oktober '89“ (Hubertus Giebe). Christine Ebersbachs „Aue, Kohle“ zeigt abgeholzte Baum-stämme am Rande eines Tagesbaus. Sighard Gilles große, kraftvolle Radierung „ Joseph in Ägypten“ von 1983 (die nachvollziehbar macht, was ihn zum großen Anreger und Lehrer der „Neuen Leipziger Schule“ werden ließ) steht exemplarisch für die metaphorische Verwendung biblischer und klassischer Motive in der DDR-Kunst, ein Kniff, den schon die Renaissance-Künstler gegen Zensurdruck (da-mals den der Kirche) anwendeten.

Ich habe die Gelegenheit genutzt, die gesamte noch verfügbare DDR-Grafik von Hans Ticha aufzuarbeiten und ins Internet zu setzen. Er nutzte statt biblischer oder griechischer Mythologie Sportdarstellungen als Möglichkeit, Kritik und Unbehagen am DDR-System verhohlen vorzutra-gen – und manchmal ganz unverhohlen: Die Serigrafie „Sieger (Goldmedaillen)“ von 1986 zeigt vier kräftige, gleichwohl eher weibliche Wesen auf nummerierten Podesten, die jeweils etwa sechs Medaillen um den Hals baumeln haben. Und diesen ganzen sportlichen Glanz – in tristem Schwarz auf Weiß, grobkörnig gerastert, als habe er ein Bild aus dem „Neuen Deutschland“ über das Maß vergrößert. Sportliche Erfolge als genuine DDR-Staats-triumpfe zu bejubeln hätte anders ausgesehen…

Genauso hat er ja aber auch gearbeitet, schuhkartonweise Fotos von Fäustereckern, Claqueuren und Parolenbrüllern aus Zeitungen gesammelt. Aus diesem Material ist auch die einzige Grafik in der Ausstellung entstanden, die erst 1990 gedruckt wurde, gedruckt werden konnte, aber nicht umsonst datiert Hans Ticha sie auf „1979/1990“: Der „Klatscher“ ist die Inkunabel der Ausstellung, eine große, vierfarbige Serigrafie, die aber schon 1979 vom Künstler konzipiert und als kleinformatige Algrafie gedruckt wurde: Einen Teil von deren Auflage versah er mit dem sarkastischen Neujahrsgruß „Weiter so 1979“, wir haben in der Ausstellung Exemplare ohne Schrift.

An dieser Stelle ein Wort zu scheinbar DDR-spezifischen Drucktechniken: Die Algrafie ist ein Flachdruck von einer Aluminiumplatte wie die Lithografie vom Stein, eine Zinkografie das Nämliche von einer Zinkplatte. Einen Unterschied zur Algrafie gibt es nicht, es war eben gerade keine Aluplatte zur Hand. DDR-spezifisch ist nichts daran, schon Paul Gauguin druckte Flachdruck von Metallplatten, es ist ein bisschen unaufwändiger als mit den schweren Steinen aus Solnhofener Schiefer, die es für die Lithografie braucht.

Die Ausstellung gewährt auch spannende Einblicke in die individuelle Entwicklung künstlerischer Werke: Klaus Süß hat einen Farblinolschnitt von 1981 (!) mit dem Titel „Mädchen und Narr“ eingeliefert, selbst ich wusste nicht, dass sich dieses Thema schon seit Anbeginn seiner „Karriere“ durch sein Werk zieht. Dazu ein originalgrafisches Plakat seiner Ausstellung bei Judy Lybkes Leipziger Galerie „Eigenart“ von 1987, und dieses noch einmal mit einem aufwändigen Farblinolschnitt überdruckt als „Eigenartiger Engel“…

Apropos: Es gibt eine Reihe hochwertiger originalgrafischer Ausstellungsplakate zu sehen, u.a. von Gerhard Altenbourg, Max Uhlig und Michael Morgner. Auch das sieht erst einmal wie eine DDR-typische Luxus-durch-Mangel-Produktion wegen fehlender Offsetdruck-Möglichkeiten aus, ist aber wohl eher Ausdruck einer die Ausstellung als singuläres Ereignis wertschätzenden Kultur. In Frankfurt am Main entwickelte Esteban Fekete in den 1960er-Jahren durch die Arbeit an solchen Plakaten für die Galerie Hannah Becker vom Rath sogar seine eigene Druckgrafiksprache.

Einer der absoluten Höhepunkte der Ausstellung ist eine Reihe von Schablithografien von Rolf Münzner, die für die außergewöhnliche Qualität der durch die 200 Jahre alte Leipziger Hochschule für Grafik und Buchkunst ausgebildeten DDR-Grafiker stehen. Es gibt Kritiker, die glauben, dass seit Adolph Menzel (1815 – 1905, gerade gibt es eine Ausstellung im Berliner Kupferstichkabinett) kein Künstler in Deutschland mehr eine solche Fertigkeit in dieser Technik erlangt hat, bei der eine Asphaltschicht auf den Lithostein aufgetragen wird, die im Druck schwarz ist. Mit einem Schabmesser, Schleifpapier und lithografischen Nadeln können nun zarteste Lichtspuren aus dem Schwarz geschabt werden, ein Verfahren, dass Künstler und Drucker bis auf das Äußerste fordert.

Unsere Ausstellung zeigt auch Arbeiten von Künstlern, die wir hier noch nie vorgestellt haben, wie Wolfram Ebersbach, Gerhard Ketterer, Heidrun Hegewald und Michael Morgner, des weiteren Grafiken und/oder orig.-grafische Bücher von Hans Scheib, Rolf Münzner, Hubertus Giebe, Bärbel Bohley, Sighard Gille, Gerhard Altenbourg, Steffen Volmer, Klaus Süß, Lea Grundig, Angela Hampel, Hermann Naumann, Christine Ebersbach, Hans Ticha, Uwe Pfeifer, Nuria Quevedo, Werner Tübke, Heinz Zander, Max Uhlig, Wolfgang Mattheuer, Claus Weidensdorfer, Jürgen Wenzel, Petra Vohland und Frank Wahle.

Wolfgang Grätz im "228. Frankfurter Grafikbrief" zur gleichnamigen Ausstellung in der Frankfurter Büchergilde Buchhandlung & Galerie vom 9.11.19 bis 20.1.2020

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Klatscher

Orig.-Algrafie 1978

Hubertus Giebe - Liegender Akt

Orig.-Kaltnadelradierung 1985

Wasserrad

Orig.-Algrafie 1979

Hans Ticha – Sieger (Goldmedaillen)

Orig.-Serigrafie 1986

Klaus Süß – Erotica 3

Orig.-Linolschnitt 1983

Heinz Zander – König Phineus und die Austreibung der Harpyien

11. Druck der Dürer-Presse

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Das Graphische Werk 1991 – 2002

Vorzugsausgabe

Christine Ebersbach – Am Strand

Orig.-Farbholzschnitt 1986

Christine Ebersbach – Auf H.

Orig.-Farbholzschnitt 1978

Christine Ebersbach – Aue, Kohle

Orig.-Farbholzschnitt 1989

Rolf Münzner – Die alte Singer

Orig.-Schablithografie 1981

Rolf Münzner – 2. Grafikbörse Leipzig 1973

Orig.-Schablithografie/Bleisatz

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Sighard Gille – Joseph in Ägypten

Orig.-Radierung 1983

Klaus Süß – Süß in Eigenart

Orig.-Farbserigrafie1987

Klaus Süß – Eigenartiger Engel

Orig.-Farblinolschnitt auf Siebdruck 1987

Klaus Süß – Mädchen und Narr

Orig.-Farblinolschnitt 1981

Klaus Süß – Spiel mit mir

Orig.-Farblinolschnitt 1989

Klaus Süß – Ohne Titel (Ungleiche Freunde)

Orig.-Farblinolschnitt 1984

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Jürgen Wenzel – Frauenkopf

Orig.-Radierung 1985

Michael Morgner – Karl-Marx-Stadt 1987

Mischtechnik, Unikat

Steffen Volmer – So viele Lügen

Orig.-Lithografie 1989

Steffen Volmer – …ein TAG in der STADT!?

Orig.-Farbserigrafie 1987

Wolfram Ebersbach – Spieglung

Orig.-Farbholzschnitt 1981

Gerhard Kettner – Liebesbaum

Originallithografie 1986

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Claus Weidensdorfer – Heißer Tag

Radierung 1986

Frank Wahle – Nichts ist geschehen

Originalholzschnitt 1985

Max Uhlig – Kopf

Orig.-Serigrafie 1981

Hubertus Giebe – Frau mit Fisch

Orig.-Radierung, handaquarelliert 1988

Hans Ticha - Handball U-DI

Orig.-Serigrafie in 5 Farben 1986

Hans Ticha - Das Ballspiel

Orig.-Zinkografie 1982

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Hans Ticha - Ballspieler 2.9.1

Orig.-Algrafie 1979

Hans Ticha - Schlagersängerin (Gitarre)

Orig.-Serigrafie in 6 Farben 1977

Hans Ticha - Ringer

Orig.-Serigrafie in 5 Farben 1977

Hans Ticha - Beatgruppe

Orig.-Farbserigrafie 1977

Hans Ticha - Zwei Clowns

Orig.-Serigrafie in 3 Farben 1986

Hans Ticha - Handball 9

Orig.-Serigrafie in 5 Farben 1986

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Hans Ticha - Boxer

Orig.-Serigrafie in 4 Farben 1986

Hans Ticha - Eishockey

Orig.-Algrafie 1979

Hans Ticha - Fußball mit 2

Orig.-Algrafie 1976

Hermann Naumann, Zu Kafka – Betrachtung, Die Abweisung

Orig.-Lithografie 1974

Hermann Naumann,Zu Kafka – Betrachtung, Das Unglück des Junggesellen

Orig.-Lithografie 1974

Hermann Naumann, Zu Kafka – Betrachtung: Wunsch, Indianer zu werden

Orig.-Lithografie 1975

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Hermann Naumann, Zu Kafka – Betrachtung, Kinder auf der Landstraße

Orig.-Lithografie 1975

Hermann Naumann, Zu Charles Baudelaire – Ein Gespenst – II Der Duft

Orig.-Lithografie 1981

Werner Schinko – Arbeiten zur Niederdeutschen Literatur…

Mit 9 signierten Orig.-Grafiken

Hans Ticha - Schlagersängerin

Orig.-Algrafie 1979

Hans Ticha - Eishockey

Orig.-Algrafie in 4 Farben 1979

Hans Ticha - Ballspiel 2 . 5

Orig.-Algrafie in 6 Farben 1985

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Hans Ticha - Tor (N)

Orig.-Algrafie in 5 Farben 1985

Günter Huniath - Eva, arabesk

Orig.-Holzriss 1984

Max Uhlig - Frauenbildnis, Arme verschränkt

Radierung (Reservage) 1978/1985