Werner Klemke

Egal, ob in Ost- oder Westdeutschland: Wer Buchkunst liebt, wird, im Westen manchem vielleicht gar nicht bewusst, ein oder mehrere von Werner Klemke illustrierte Bücher im Schrank stehen haben. Werner Klemkes buch-künstlerisches Werk umfasst insgesamt 835 Bücher, die er mit Illustrationen versah und teilweise auch komplett gestaltete! ...

In der DDR war er so etwas wie der universelle Illustrationskünstler, der das ganze Land z.B. in seine Katersuchspiele hineinzuziehen verstand: Klemke gestaltete von 1955 bis 1990 alle 400 Titelblätter des Magazins, der DDR-Lifestyle-Zeitschrift, und auf jedem Titelbild war ein schwarzer Kater zu suchen, von dem manchmal nur eine Pfote zu finden war.

Um das unübersehbar große Lebenswerk Klemkes auch nur im Ansatz zu würdigen, fehlt hier der Raum, und dafür haben wir den wohl weltweit besten Klemke-Kenner und großen Klemke-Sammler Matthias Haberzettl für einen Vortrag am Dienstag, 15. August um 19.30 Uhr gewinnen können. Hier seien nur kurze Schlaglichter auf Klemke geworfen:

Werner Klemke wurde 1917 als Sohn eines Tischlers in Weißensee, damals noch selbständiger Vorort Berlins, geboren. Schon als Kind und Jugendlicher zeichnete er viel und besuchte häufig Museen und Bibliotheken. Seine Liebe zu den Büchern gipfelte später in einer eigenen Bibliothek von 33.000 Bänden… Nach dem Abitur begann er eine Ausbildung zum Zeichenlehrer in Frankfurt (Oder), brach sie aber nach wenigen Monaten wegen fehlender Praxis ab und arbeitete als Trickfilmzeichner.

1939 wurde Klemke zur Wehrmacht eingezogen, zu einem relativ geruhsamen Schreibstubenjob in Bussum, zwanzig Kilometer östlich von Amsterdam, im von Nazideutschland besetzten Holland. Einerseits arbeitete er für Soldatenzeitungen, beteiligte sich an der Propagandaausstellung „Kunst der Front“ im Rijksmuseum und zeichnete eine Karikatur, die den Text von „Lilli Marleen“ antisemitisch persiflierte. Auf der anderen Seite berührte ihn das unverdiente Leid der jüdischen Bevölkerung und deren Bedrohung durch Deportation, sodass er begann, für Bussumer Juden Lebensmittelkarten, „Arier-Nachweise“ und ganze Pässe zu fälschen – seine Fertigkeit im Holzschnitt erwies sich als sehr nützlich, wenn es um das Herstellen falscher Stempel ging. Etwa 300 Menschen retteten sein Mut und seine Holzschnitte das Leben.

Das Erstaunliche: Klemke hat über diese mutigen Handlungen, bei denen er sein Leben für andere riskierte, selbst nie gesprochen. Erst lange nach seinem Tod, im Jahr 2011, stieß die niederländische Regisseurin Annet Betsalel in der Synagoge von Bussum in alten Dokumenten auf Klemkes Namen und begann mit den Recherchen, aus denen 2015 der Film „Treffpunkt Erasmus – die Kriegsjahre von Werner Klemke“ entstand. Erasmus, das war der Kontaktort zwischen Klemke und den zu Rettenden, und das war natürlich – ein Antiquariat!

1946 kehrte er nach Berlin zurück. Zum Broterwerb bemalte er Lampenschirme, Ladenfronten und die Wände von Gaststätten, schrieb Preisschilder und Wandsprüche. Ab 1947 konnte er Illustrationen bei Zeitschriftenverlagen unterbringen, 1948 erteilte ihm der Verlag Volk und Welt den ersten großen Auftrag auf dem Gebiet der Buchgestaltung: Für die gewünschten mehr als hundert Holzstich-Illustrationen zu Georg Weerths Humoristische Skizzen aus dem deutschen Handelsleben musste er sich die Holzstich-Technik erst aneignen.

Beim Holzstich wird, anders als beim Holzschnitt, nicht mit in Richtung der Holzfaser gesägten Brettern, sondern in Hirnholz gearbeitet – das ist sozusagen eine Scheibe aus dem Baumstamm. Die ist z. B. aus Buchsbaum und äußerst hart, schneiden kann man nicht, nur winzige Partikel aus der Oberfläche herausstechen. Der Vorteil dieser Holzstichtechnik ist, dass sehr feine Linien stehenbleiben können, die beim Holzschnitt aus der Druckplatte brechen würden, und dass durch die filigrane Feinstarbeit gepunktete Flächen dem menschlichen Auge als Grautöne erscheinen. Diese aufwändige Technik, für deren Anwendung später der Leipziger Karl-Georg Hirsch und der Hamburger Otto Rohse sehr bekannt werden sollten, entwickelte Klemke zur Meisterschaft und gab sie auch seinen Schülern mit auf den Kunstlebensweg.

Denn seit 1956 war er an der damaligen Hochschule für Bildende und Angewandte Kunst (heute Kunsthochschule Berlin-Weißensee) Professor für Buchgrafik und Typografie. 1961 wurde er aufgrund seiner künstlerischen Leistungen zum Ordentlichen Mitglied der Akademie der Künste der DDR ernannt, seit 1964 war er dort Sekretär der Sektion Bildende Kunst. Einer politischen Partei gehörte er nie an. Die italienische Stadt Certaldo, Geburts- und Sterbeort des Dichters Giovanni Boccaccio, verlieh ihm 1975 die Ehrenbürgerschaft für seine Buchgestaltung des Decamerone. 1982 wurde Werner Klemke als Hochschullehrer emeritiert, er starb am 26. August 1994 und wurde auf dem St.-Hedwigs-Friedhof in Berlin-Weißensee in einem Ehrengrab der Stadt Berlin beigesetzt.

„Ich mache Bücher, worunter ich aber nicht nur ‚Bücher illustrieren‘ verstehe. Das ist nur eine Art unter anderen. Unter ‚Bücher machen‘ verstehe ich, einem Buch durch Auswahl der Papiersorte und der Lettern, durch Satzanordnung und Buchschmuck Gestalt zu geben mit allen Zutaten, die nötig sind, den Absichten des Verfassers gerecht zu werden und dem Leser das Lesen zu erleichtern.“ (Werner Klemke).

Ich habe Werner Klemke leider nicht persönlich kennen-gelernt, aber vor 25 Jahren zusammen mit anderen selbst ein Büchlein von ihm als Reprint verlegt: Wieland Herzfelde, Verleger des Malik-Verlages und Bruder von John Heartfield, ist ja eine legendäre Persönlichkeit der deutschen Kulturgeschichte, wurde von der SED aber als Westemigrant trotz kommunistischer Grundüberzeugung zeitweise isoliert. Als sein 80. Geburtstag in der DDR keine offizielle Würdigung erfuhr, publizierte er selbst ein Bändchen mit eigenen Liebesgedichten, die sein Freund Werner Klemke illustrierte. Das an 200 Freunde verschenkte Büchlein ist nur noch für ca. 200 Euro im Antiquariat zu bekommen, 1992 haben wir es zusammen mit Herzfeldes letzter Lebensgefährtin Elisabeth Trepte in einer Auflage von 500 Exemplaren hochwertig reprintet.

Unsere Ausstellung zeigt zahlreiche illustrierte Bücher von Werner Klemke, die sich leider hier aus Platzgründen nicht einzeln aufführen lassen, und natürlich ein Dutzend „Magazin-Hefte“ mit seinen Titelblättern.

Da nur sehr wenige signierte Grafiken und Zeichnungen von Werner Klemke verfügbar sind, zeigen wir als Hommage zu seinem 100. Geburtstag die Arbeiten von fünf seiner Schülerinnen und Schüler, die selbst zum Teil schon (Buch-)Kunstlegenden sind. Man darf sich Klemke gleichwohl nicht als Vertreter eines verschulten Studiums denken, professorale Präsenz war seine Sache nicht, und wenn, dann gern beim weiblichen Teil des Semesters… Gleichwohl unterstützte Klemke auch Außenseiter und half seinen Absolventen beim freiberuflichen Start bei Verlagen.

Wolfgang Grätz, 2012. Frankfurter Grafikbrief