Der Farbholzschnitt
1519 schuf Albrecht Altdorfer den ersten bedeutenden deutschen Farbholzschnitt ‚Schöne Maria von Regensburg’, den er von 6 Stöcken druckte – und dann herrschte, leicht vereinfachend gesagt, in Deutschland fast 400 Jahre Ruhe an dieser Front. Das ist ja merkwürdig!
Was bis dahin geschah:
Der Hochdruck – in eine (Holz)Platte werden Vertiefungen geschnitten oder gekratzt, die Platte dann mit feuchter Farbe eingerieben und alles, was auf der Platte noch hoch steht, druckt sich auf einem aufgepressten Papier ab – ist die älteste Drucktechnik überhaupt. Während in China bereits im 4. Jahrhundert n. Chr. reliefartig bearbeitete Inschriftsteine mit Tuschfarbe auf das dort schon 300 Jahre vorher erfundene Papier gedruckt wurden, entwickelte sich in Deutschland erst Ende des 14. Jahrhunderts ein meist religiös motivierter Bild-Holzschnitt – nachdem 1390 die erste Papiermühle auf deutschem Boden in der Nähe von Nürnberg entstanden war.
Geschaffen wurden Einblattholzschnitte (Rückseiten von Papier zu bedrucken war unmöglich, da die Farbe durch Abreiben gedruckt wurde, das hätte eine schon bedruckte Rückseite beschädigt) im Schwarzliniendruck. Das heißt, aus der Holzplatte wurde alles weggeschnitten, bis nur noch die Konturen einer Figur hochstanden. Das hatte den Vorteil, dass man diese Holzschnitte dann von Hand kolorieren konnte – das zunächst übliche Verfahren, farbige Bilder in größerer Stückzahl herzustellen.
Was danach geschah:
Warum es nach Altdorfers Meister-Farbholzschnitt und Lucas Cranachs Gold- und Silberdrucken für den Sächsischen Kurfürsten in dieser Technik nicht weiterging, lässt sich derzeit nur mutmaßen: Zum einen entmutigte wohl Albrecht Dürers (1471 – 1528) nicht zu übertreffende Meisterschaft im Schwarzweiß-Holzschnitt, der dem Auge schon Grauwerte suggerierte, ohnehin die Nachfahren, in dieser Technik zu arbeiten, zum anderen war der Kupferstich, später der Stahlstich als Vervielfältigungstechnik vor allem für die Buchillustration dem Holzschnitt in Handhabung (z.B. Schneiden filigraner Details) und Druckplatten-Beständigkeit weit überlegen. Die Druckgrafik wurde zu dieser Zeit eher so verwendet wie heute das Pressefoto.
Anders ist die Entwicklung in Italien, wo sich die Kunst des Farbholzschnitts im ganzen 16. Jahrhundert, vor allem in Venezien, zu voller Pracht entfaltet, weil er schon als eigenständiges Kunstwerk aufgefasst wird. Ganz anders vor allem aber auch die Entwicklung in Japan, wo man schon im 6. Jhrh. mit dem Buddhismus auch die Holzschnittkunst aus China übernommen hatte und wo sich ab dem 17. Jahrhundert eine gewaltige Blütezeit dieser Drucktechnik entwickelte, die sich in Gegensatz zur Hochkunst setzte, indem sie sich „trivialen“ Themen widmete: Portraits von Schauspielern und Ringern, vor allem aber erotischen Szenen, den sogenannten Shungas.
Von dieser Entwicklung ahnte man in Europa lange nichts, weil sich Japan weitgehend gegen die Außenwelt abgeschottet hatte. Mit umso größerer Wucht trafen diese Holzschnitte, z.B. von Hokusai (1760 – 1849), im 19. Jahrhundert die europäische Kunst und beeinflussten maßgeblich die Entstehung des Jugendstils, prägten aber auch die malerische Arbeit u.a. van Goghs, der allein eine Sammlung von 450 japanischen Farbholzschnitten besaß und damit Ausstellungen veranstaltete.
Die ungeheure Popularität des japanischen Farbholzschnittes ermutigte die europäischen Künstler, selbst in diesem Medium zu experimentieren. Bis heute wenig bekannt sind die Farbholzschnitt-Werke von Paul Gauguin und Edvard Munch, die wiederum die deutschen Expressionisten beflügelten: Für Ernst Ludwig Kirchner, Erich Heckel, Karl Schmitt-Rottluff und viele andere wird der Farbholzschnitt zum adäquaten Stilmittel. In deren Nach-folge entwickelt HAP Grieshaber, vor allem nach 1945, von der Nazikunst-Primitivität befreit, sein einzigartig umfassendes Werk – eine Sonne, in deren Schatten alle anderen zeitgenössischen Sterne wie Hansen-Bahia, Esteban Fekete, Alfred Pohl und Gerhard Grimm standen.
Erstaunlicherweise gab es auch im Druckgrafik-Wunderland DDR in der Ära Grieshaber keinen herausragenden Farb-holzschnitt-Künstler – Gerhard Altenbourg vielleicht, der aber mehr im Verborgenen arbeitete, wie der in Westdeutschland eher regional im Raum Frankfurt/Main bekannte, außergewöhnlich begabte Wolfgang Schlick (1941 bis 2014). Hans Ticha schuf 1969 bis 1996 drei Farbholzschnitte, 1997 bis 2012 deren 42…
Ich habe auch an anderer Stelle nachgezählt: Von Beginn der Büchergilde-Grafikedition 1971 bis zum Beginn meiner Grafikverlegertätigkeit 1996, also in 25 Jahren, erschienen dort gerade 5 Farbholzschnitte – seitdem in 22 Jahren aber 161! Das ist nicht mein Verdienst – seit dem Ende des 20. Jahrhunderts und erstaunlicherweise in einer Zeit, in der oft von einem angeblichen Rückgang der Druckgrafik gesprochen wird, hat sich hier das künstlerische Angebot explosionsartig erweitert – und das in nie dagewesener Qualität!
Zum einen ist der Farbholzschnitt erstmals in seiner Geschichte weiblich geworden – und Künstlerinnen wie Uta Zaumseil, Christine Ebersbach, Petra Schuppenhauer, Eva Pietzcker, Andrea Lange, Stefanie Marx, Susann Hoch, Heike Küster, Antje Wichtrey, Tita do Rêgo Silva und Anastasiya Nesterova konzentrieren sich wie Grieshaber in ihrer künstlerischen Arbeit fast komplett auf den Farbholzschnitt. Damit muss man erst mal einen Lebensunter-halt zusammenbringen und die Aufzählung ist möglicherweise auch noch unvollständig. Was für eine wuchtige Anballung künstlerischer Potenz! Das wäre ein eigenes Sammelgebiet: Farbholzschnitt von Frauen…
Und die Künstler/innen haben das Spektrum der Farbholzschnitt-Möglichkeiten um bis dato absolut Unahnbares erweitert: Petra Schuppenhauer sägte schon bei den Holzschnitten für ihre Diplomarbeit an der Hochschule für Grafik und Buchkunst Leipzig Figuren so aus der Platte, dass sie auf dem weißen Papier freigestellt waren, wischte die auf die Druckplatte aufgetragene Farbe vor dem Druck weitgehend wieder ab – und ich wäre ohne diese Information nie darauf gekommen, dass es sich beim Ergebnis um Holzschnitte handelt (s.u.). Sie ist jetzt mit gewaltigen Riesenfarbholzschnitten, 140 x 100 cm, in bis zu 10 Farben in verlorener Form gedruckt, in der Ausstellung vertreten. So etwas war noch nie da!
Frank Eißners Holzschnitte, in lasierend-transparenten Farben gedruckt, sind die zarteste Bild-Versuchung, seit Männer Gefühl zeigen dürfen, Harald Alffs Stadtlandschaften wirken von fern fotorealistisch, tritt man nah heran, lösen sie sich in Unerkennbares auf. Uta Zaumseil verbindet auch fast fotorealistischen Holzschnitt mit größtmöglicher Lakonie, Franziska Neubert schafft es, etwas so lakonisch Kühles wie eine Bushaltestelle zum Sehnsuchtsort umzuformulieren. Peter Zaumseil druckt gern mal 18 bis 24 Farben in verlorener Form, auch das war noch nie da…
Es gibt diverse Möglichkeiten, Farbe in den Holzschnitt zu bringen: So wie ganz am Anfang, indem ein Schwarzlinien-Holzschnitt koloriert wird, durch Druck von so vielen Platten, wie es Farben geben soll, dem Zersägen der Platte und Druck der einzelnen Teile in unterschiedlichen Farben, dem Druck von einer Platte, an der immer weiter geschnitten wird (verlorene Form), bis zum Einfärben einer Druckplatte mit dem Pinsel wie ein Bild, wo alle Farben in einem Druckgang gedruckt werden, wie eine Monotypie (Einmaldruck), kein Druck wird genau wie der andere.
Blitzlichtartig will ich Ihnen einige der ausgestellten Künstler/innen vorstellen, die für eine spezielle Technik stehen:
Gisela Mott-Dreizler (*1941) studierte an der Kunstakademie Karlsruhe Malerei und an der Hochschule der Künstle in Berlin Freie Grafik. Sie lebt in Witzwort/ Schleswig-Holstein. Die Künstlerin experimentiert in der Grafik durch die Kombination unterschiedlicher Techniken, druckt, übermalt, druckt wieder drüber, so gewinnen ihre viel-schichtigen Grafiken Tiefe und Unikatcharakter. Wir haben in der Ausstellung 2 Exemplare ihres Holzschnitts „Im blühenden Garten“ nebeneinandergehängt, damit man diese Arbeitsweise nachvollziehen kann.
Gisela Mott-Dreizler – Im blühenden Garten Holz-/Linolschnitt/Übermalung. Bildformat 30 x 50 cm, Bütten 49 x 69 cm, Auflage 30 Exemplare signiert und nummeriert, EUR 248.-
Franziska Schaum, 1972 in Berlin geboren, absolvierte von 1991 bis 94 eine Ausbildung zur Schriftsetzerin. 1995 bis 2002 studierte sie an der Bauhaus-Universität in Weimar, an der Hochschule für Grafik und Buchkunst in Leipzig und an der Universität der Künste Berlin. Sie war u.a. Assistentin von Henning Wagenbreth an der UdK Berlin. Franziska Schaum bemalt jeden Druckstock mit langsam trocknenden Farben und druckt so alle Farben in einem Durchgang. Auch hier fällt jeder Druck anders aus.
Franziska Schaum – Heidi Klum („Und scheint die Sonne noch so schön, am Ende muss sie untergehn“ Heinrich Heine) Unikat, 30,5 x 21,5 cm, Druck vom vielfarbig eingefärbten Druckstock, jeder Druck andersfarbig, signiert, EUR 160.-
Franziska Schaum – Männer. Forschungsarbeit über eine Spezies. 44 Seiten mit 29 (!) ganzseitigen, meist mehrfarbigen Original-Holz-schnitten und 10 Textholzschnitten sowie einem lose beiliegenden Farbholzschnitt 30,5 x 21,5 cm, Auflage 40 Ex., EUR 348.-
Klaus Süß, 1951 in Crottendorf/Erzgebirge geboren, gehört auch zu den Künstlern, die sich im Lebenswerk ganz auf den Farbholzschnitt konzentriert haben. Aus der Not, dass es in der DDR nur eine glänzende Druckfarbe für den Hochdruck gab, entwickelte er im Experiment mit unter-schiedlichen Materialien eine Mehlsättigung der Farbe, die die Drucke nicht nur matt und haptisch werden ließ, sondern im Trocknungsprozess porös wirkende Farbflächen er-gab. Bei der Technik der verlorenen Form (siehe Erklärung unten bei Peter Zaumseil) liegen viele Farben übereinander – bei Süß schimmerten diese nun durch und ergaben faszinierend lebendige Partien. In der Ausstellung zeigen wir zwei Farbholzschnitte aus dem Jahr 1989, die in dieser Technik gedruckt sind.
Klaus Süß – Spiel mit mir. Bild 37 x 28,5 cm, Bütten 47 x 36 cm, 15 Ex., sign., num., EUR 250.- Exotic. Bild 37 x 28 cm, Bütten 47 x 35,5 cm, Auflage 18 Exemplare, sign., num., EUR 250.-
Harald Alff, 1964 in Leipzig geboren, war Meisterschüler von Karl-Georg Hirsch und hat eine einzigartige Technik für seine in Holz geschnittenen Stadtbilder entwickelt: Er druckt Zustand für Zustand von der verlorenen Form, in-dem er der immer gleichen Druckfarbe, die er selbst aus Öl und Pigmenten anrührt, von Druck zu Druck mehr Farb-pigmente zusetzt und die Farbe auf diese Weise sukzessive dichter, mithin dunkler werden lässt. In oftmals mehr als 10 Druckvorgängen entstehen so Bilder, die durch die reinen Lichtabstufungen dem Auge die Illusion von Fotorealismus vermitteln.
Harald Alff – Frankfurt/Main, EZB (die alte EZB, in der vormals die Bank für Gemeinwirtschaft und auch unsere Buchhandlung residierten. Links das Grandhotel „Frankfurter Hof“) Bild 31,5 x 59,5 cm, Bütten 50 x 70 cm, Auflage 20 Exemplare, signiert und nummeriert, EUR 198.-
Eva Pietzcker, 1966 in Tübingen geboren, absolvierte 1987 bis 92 ein Malereistudium an der Akademie der Bildenden Künste Nürnberg. 2000 war sie „Artist in Residence“ in Bandung, Indonesien. 2003 erhielt sie als eine von nur sechs ausländischen Künstlern eine Einladung zur Ausbildung in der Technik des japanischen Holzschnitts, Nagasawa Art Park, Japan. Sie ist die unbestrittene Großmeisterin dieser Technik in Deutschland.
Eva Pietzcker – Berge und Flüsse. Farbholzschnitt-Bilderbuch, Vorzugsausgabe. 144 Seiten, durchgehend Farbabbildungen, 28 x 15,5 cm, offene Fadenbindung mit Schutzumschlag. Lose beiliegend zwei Farbholzschnitte, je 27 x 14,5 cm, Auflage je 60 Exemplare, signiert und nummeriert, EUR 360.-
Frank Eißner, 1958 in Leipzig geboren, hat dem Farbholzschnitt eine völlig eigenständige Handschrift hinzugefügt. Seine in transparenter Farbigkeit gedruckten Grafiken erinnern an den Jugendstil, ohne dessen Dekorativität zu zitieren. Eißner lässt den Druckträger „Holz“ sichtbar werden, indem er Druckplatten aus weichen Hölzern (Pappel, Kiefer, Fichte) verwendet, deren Maserung den Farbflächen Struktur gibt. Wie Munch zersägt Eißner die Platte und druckt von den einzelnen Stücken. Für uns hat er einen solchen Druckstock wieder zusammengesetzt:
Frank Eißner – Lesende mit Mala. Farbige Zeichnung, Druckstock und Orig.-Farbholzschnitt, dieser in 12 Farben gedruckt, 36 x 25 cm, in Leinenkassette, der komplette Schöpfungsprozess! EUR 750.-
Petra Schuppenhauer, 1975 in Hamburg geboren, kam zum Studieren an die HGB nach Leipzig – und blieb. Sie betreibt dort ihre eigene Druckwerkstatt und ist wohl die innovativste Vertreterin des Farbholzschnittes, siehe oben. Die schon erwähnten Riesenfarbholzschnitte können hier nicht abgebildet werden, sie fußen auf den Land-schafts-Eindrücken, die die Künstlerin bei ihrer letztjährigen Antarktis-Reise gewonnen hat. Auch die farbigen Wiedergaben im Internet können das Wunder der leibhaftigen Betrachtung nicht ersetzen.
Petra Schuppenhauer – Auf hoher See. Orig.-Farbholzschnitt-Unikat dieses Motivs in 13 Farbvarianten, Format 29 x 55 cm, signiert, EUR 178.-
Vom oben beschriebenen Orig.-Farbholzschnitt-Buch mit den ausgesägten und „verwischten“ Holzschnitten gibt es noch 1 (!) Exemplar:
Petra Schuppenhauer – Warum man Nkundakfedern trägt. Ein afrikanisches Märchen, mit 10 ganzseitigen Original-Farbholzschnitten, Format 36,5 x 30,5 cm, fest gebunden, Auflage 24 Expl., im Impressum signiert und nummeriert, EUR 450.-
Und ein weiteres unglaubliches Farbholzschnittbuch von Petra Schuppenhauer muss hier erwähnt werden:
Petra Schuppenhauer – Poesiealbum. Format 18,5 x 15,5 cm, in farbig bedrucktes Leinen gebunden, 16 Doppelseiten, jeweils ein Farbholzschnitt in bis zu 6 Farben und ein entsprechender Poesie-Album-Spruch wie „Liebe mich immer, vergiss mich nimmer“. Die kindliche „lateinische“ Schrift ist komplett in Holz geschnitten, was für eine Arbeit! Und wie gelungen! Auflage 24 Exemplare, im Impressum signiert und nummeriert, EUR 270.-
Peter Zaumseil, 1955 in Greiz im Vogtland geboren, organisierte seine zeichnerische und malerische Ausbildung auf eigene Faust, an der Spezialschule für Malerei und Grafik Rudolstadt wie durch Lehrgänge bei Günther-Albert Schulz und Wolfram Ebersbach. Der Maler und Bildhauer ist in allererster Linie ein Virtuose des vielschichtigen Farbholzschnitts in der verlorenen Form. Diese Technik hat 1958 Picasso erfunden, sie verlangt dem Künstler ein hohes Abstraktionsvermögen ab: Er schneidet zunächst einmal nur die paar Punkte und Linien aus einer Platte, die hinterher z.B. das Weiß der Augäpfel einer Figur werden. Im ersten Druckvorgang z.B. in Blau hat man also nichts als eine blaue Fläche und ein paar weiße Punkte.
Er druckt von dieser Platte seine, sagen wir, 20 Exemplare, dann schneidet er an dieser Druckplatte weiter – er schneidet die Form der Augen heraus und druckt diesen Zustand der Platte in Rosa auf die 20 Blätter. Das eben noch komplett blaue Blatt ist nun komplett rosa (Sie merken schon, das wird die Gesichtsfarbe), aber es schauen 2 blaue Augen aus dem Rosa. Und so weiter – wenn er nun die Gesichtsform aus der Platte schneidet und die Restplatte in Schwarz druckt – haben Sie einen rosa Kopf mit blauen Augen vor schwarzem Hintergrund. Peter Zaumseil bringt es gern mal auf 20 solcher Druck-vorgänge, wenn er den Reiz seiner vogtländischen Heimatlandschaft oder seiner exotischen Reiseziele in faszinierende Holzschnittkunst umsetzt.
Der Verlag Kollektiv Tod, das sind Frédéric Guille und off, zwei junge, in Berlin lebende Künstler bzw. Künstlerin, die mit dem Einsatz großformatiger Original-Holz-schnitte der street-art eine neue Dimension hinzufügen. Sie nutzen aber den virtuos gehandhabten Farbholz-schnitt auch für ihre Buchkunst, z.B. für ihre Untersuchung der Frage, was Glück ist. Dazu haben sie sich der von Klatschmagazinen gedruckten wie ausgestrahlten Verherrlichung des „Promi“-Lebensstils angenommen: Illustrierten-Fotos vom vermeintlich paradiesischen, weil luxuriösen Leben der aus „Funk und Fernsehen bekannten“ Botox addicts haben sie in fett gedruckte Farbholzschnitte transformiert: „Um diesem Überfluss gerecht zu wer-den, wurde an der Farbe nicht gespart.“
Kollektiv Tod – Don’t piss on the parade. Künstlerbuch mit 14 vielfarbige Orig.-Farbholschnitten, Großformat 35 x 50 cm, Broschur, in Kunstleder gebunden, in stabiler Schmuckkassette, Auflage 1 Exemplare, im Impressum signiert und nummeriert, EUR 580.-
Tita do Rêgo Silva, 1959 in Caxias-MA/Brasilien geboren, studierte von 1985 bis 1988 Grafik und Kunstpädagogik an der Universität Brasilia. Um die europäische Kunst im Original zu sehen, besuchte sie mehrmals Deutschland, ab 1988 blieb sie dann ganz. In Hamburg betreibt sie ihre eigene Druckwerkstatt, bildete eine Zeitlang zusammen mit Klaus Raasch und Artur Dieckhoff die „Edition Schwarze Kunst“ und gehört genauso wie die 1979 in Sewastopol/Krim geborene Anastasiya Nesterova untrenn-bar zur deutschen Druckgrafikszene. Tita bereichert deren Ausdrucksformen um die fantastischen Figuren aus der Formensprache ihrer indianischen Vorfahren – und sie macht auch Bücher:
Tita do Rêgo Silva/Ludwig Heinrich Christoph Hölty – Apoll und Dafne. 12 Seiten mit 5 Original-Farbholzschnitten (davon einem doppelblattgroßen) von Tita zu einem Gedicht des Dichters Hölty (1748 – 1776). Gebunden in mit farbigem Holz-schnitt bedrucktes Leinen, Festeinband, 37,5 x 26 cm, Auflage 50 Exemplare, im Impressum signiert und num., EUR 470.-
Resümee: Wir leben in einer heimlichen Blütezeit des Farbholzschnittes in Deutschland – warum merkt das bloß keiner? Hallo Kunstzeitschriften, hallo Feuilleton, hallo Museumskuratoren – wozu gibt‘s die große Glocke, wenn nicht solch ein Thema drangehängt wird? Klaus Süß z.B. hat in seinem Künstlerleben wahrscheinlich allein mehr Farbholzschnitte geschaffen als in der gesamten Deut-schen Kunst zwischen 1519 und 1870 entstanden sind – würde die Ursachenforschung einer solchen Entwicklung, liebe Kunsthistoriker, nicht trefflich unter einen künftigen Doktorhut passen? Und, liebe Gendergerechte, wo ist der Jubel über die herausragende Stellung von Frauen im Farbholzschnitt, wo denn sonst in der zeitgenössischen Kunst spielen Frauen eine so dominante Rolle? Wunderbar und verwunderbar, das alles!