Gutenberg Pressendrucke
390 Euro für ein neues Märchenbuch – seid ihr wahnsinnig geworden?
Das ist nur ein fiktiver Ausruf, denn wer z. B. den 16. Druck der Gutenberg Presse – so heißt die Abteilung für komplett originalgrafische Bücher in der Büchergilde – betrachtet, spürt sofort, dass er eine echte Preziose in Händen hält: Zu Hans Christian Andersens so hochaktuellem Märchen von des Kaiser hochgejubelten, jedoch dürftigen Kleidern hat der Künstler Klaus Süß 11 Illustrationen geschaffen, von denen Klischees gefertigt wurden, die von Hand auf dickes Bütten gedruckt wurden. Dann hat der Künstler jede der 11 Zeichnungen in jedem der 40 Exemplare der Auflage mit einem farbigen Aquarell überarbeitet. Es befinden sich also in jedem Buch 11 Unikate!
Die sorgsam ausgewählte Schrift wurde von dem Künstler und Typografen Peter Rensch gesetzt und vom Klischee von Hand gedruckt. (Einzelbuchstabensatz hätte das Buch leider fast unbezahlbar gemacht.)
Warum greift man im 21. Jahrhundert auf eine Produktionsweise zurück, mit der im Mittelalter in Ermangelung von Alternativen Bücher erstellt wurden? Alles fing damit an, dass Mönche Bücher von Hand (ab) schrieben und diese mit zumindest von Hand gemalten Seitenanfängen verzierten. Der Schnitt ganzer Textseiten in Holz war bereits eine große Rationalisierung, ermöglicht durch die Erfindung der der Weinpresse abgelauschten Druckpresse.
Der Rest ging schneller: Johannes Gutenberg zerlegte die Schriftdruckstöcke in einzelne Lettern, die er zu immer neuen Texten zusammensetzen konnte, aus Holzbuchstaben wurden solche aus dem leicht formbaren, aber giftigen Blei, und diese kamen nach dem 2. Weltkrieg auf den Müll, als man Texte auf dünne, biegbare Druckplatten fotobelichten konnte, die, auf große Rollen gespannt, in hohem Tempo Gedrucktes ausspuckten.
Die Menschheit hat viel Energie darein gesetzt, das Buch als Träger von Wissen, Bildung und Unterhaltung immer billiger herstellen zu können – was immer auch erleichterten Zugang zu Bildung und Information für weniger Begüterte bedeutete.
Man kann es sich heute kaum mehr vorstellen, aber die Büchergilde wurde 1924 auch deswegen gegründet, weil ein „gutes Buch“ für einen Arbeiterhaushalt nicht erschwinglich war. – Jedoch ging die Industrialisierung der Buchherstellung auch einher mit einem absoluten Niveauverlust in der Gestaltung, das Buch wurde zum Massenartikel und verlor seinen persönlichen Charakter.
Zwischen 1890 und 1930 entstand daher die Buchkunstbewegung, deren Ziel die künstlerische Gesamtgestaltung des Buches war, das Streben nach perfekter Harmonie von Text, Schriftart, Illustration, Papier, Druck und Bucheinband.
Es entstanden private Druckpressen, um eine hohe Buchkultur zu bewahren. Gründer waren oft Drucker und Buchkünstler, aber auch so illustre Leute wie der Großherzog von Hessen, Ernst Ludwig oder Harry Graf Kessler, dessen Cranach Presse die wohl bis heute werthaltigsten Bücher hervorbrachte.
Dem inneren Auftrag dieser Generation folgen bis heute zahlreiche Künstler und Pressendrucker und sorgen so dafür, dass der Maßstab erhalten bleibt, an dem sich alle Buchproduktion relativ zu messen hat: Das handgefertigte Buch ist die tiefste Verneigung der Form vor dem Inhalt, die größtmögliche Würdigung eines Textes, der höchstmögliche Respekt, den Literatur durch die Formgebung erfahren kann.
Neben der sorgsamen Auswahl der zum Inhalt passenden, angenehm lesbaren Schrift spielt die als Original gedruckte Illustration eine große Rolle – weswegen häufig Künstler als Pressendrucker tätig sind, die von ihnen selbst verehrte Texte durch ihr künstlerisches Zutun in den Fokus rücken wollen.
Durch den Druck von den Originaldruckstöcken oder -platten gibt es keinerlei Verlust in dem, was der Nutzer des Buches vom Künstlerwillen in die Hand bekommt. Jede Reproduktion entzieht sich, teils durch technische Beschränkungen, teils durch den notwendigen Eingriff eines Dritten, der 100%igen Wiedergabe des Originals. Eine Reproduktion ist immer ein Kompromiss zwischen Wollen und Realität.
Dieser Satz trifft natürlich auch auf Pressendrucke an sich zu – man könnte sie immer noch ein bisschen besser, edler, würdiger gestalten, einen Schuber zum edlen Buch reichen, mehr Illustrationen unterbringen und so weiter.
Da kommt es dann zum Kompromiss zwischen künstlerischem oder verlegerischem Wollen und der werten Kundschaft Portemonnaie. Letztere fragt sich jetzt natürlich: Muss man solch ein hochpreisiges Buch haben? Ich kann die Frage reinen Herzens mit „Ja“ beantworten. Pressendrucke sind die Krönung der eigenen Bibliothek, Gesamtkunstwerke, die zeigen, wie sorgsam ein Buch gestaltet werden kann, der eigenen Ästhetik-Schulung nützlich, haltbar und erfreuend wie ein handgefertigter Schuh.