Falk Geißler
Jung und Kupferstecher
Junge Kupferstecher gibt es in etwa so häufig wie weiße Raben. Falk Geißler ist so ein seltener Vogel. Da fragt man sich natürlich, warum diese alte grafische Technik nur von wenigen erlernt und ausgeübt wird. Was muss man können?
Beim Kupferstich wird eine Kupferplatte auf ein kleines rundes Lederkissen gelegt, das bei jedem Stich gedreht werden kann, denn der Künstler arbeitet immer körperabgewandt in kurzen geraden Stichen. Das Bild entsteht aus Hunderttausenden kurzer gerader Linien, die „sitzen“ müssen – die einmal aufgestochene Platte ist nicht mehr zu korrigieren.
Da größere Flächen nicht aus der Metallplatte herausgestochen werden können, muss der Künstler, um z.B. eine dunkle Fläche im Kupferstich zu erzielen, unzählige Stiche dicht an dicht nebeneinandersetzen oder Schraffuren stechen. Kupferstich ist wie die Radierung ein Tiefdruckverfahren, d.h., Druckfarbe wird in die Rillen der Platte gerieben und aus diesen von gefeuchtetem Büttenpapier unter dem hohen Druck der Presse aus den Vertiefungen gesogen.
Einer der berühmtesten Kupferstiche der Kunstgeschichte ist Dürers aus allen Schulbüchern bekannte Darstellung von „Ritter, Tod und Teufel“ – und man weiß, dass er für das Stechen der entsprechenden Druckplatte mehr als ein Vierteljahr Zeit benötigte. Das allein beantwortet wohl die Frage, warum die Technik so selten ausgeübt wird. Es bedarf großer Geduld, technischer Fertigkeit und Erfahrung sowie akribischer Planung, um zu einem ansehnlichen Ergebnis zu kommen.
Und man braucht in der Regel noch einen Brotberuf, denn die Bildergebnisse wirken erst einmal eigenartig spröde, ungewohnt und sind vor allem in der Regel kleinformatig – Dürers „Ritter…“ misst gerade mal 24,6?× 19?cm, das ist kleiner als DIN A4. Auch das ergibt sich aus der Arbeitsweise. Aber irgendwie denkt man ja doch in der Kunst: kleines Format = kleiner Preis.
Die Kupferstichtechnik wurde wahrscheinlich um 1420/1430 im oberdeutschen Raum erstmalig angewendet. Der erste bedeutende Kupferstecher war Martin Schongauer (1445 – 1491), der einen so herausragenden Ruf hatte, dass der junge Albrecht Dürer bei ihm in die Lehre gehen wollte und der junge Michelangelo nach seinen Werken kopierend zeichnete. Wie beim Holzschnitt auch, war es dann Albrecht Dürer, der die Kunst des Kupferstichs revolutionierte und perfektionierte und Meisterwerke wie Ritter, Tod und Teufel und Melencolia I schuf.
Von Anfang an hatte der Kupferstich aber auch eine reproduktive Funktion – er diente bis zur Erfindung besserer Methoden etwa zu naturwissenschaftlichen Darstellungen, beispielsweise in der Anatomie, aber auch, um Gemälde „abzukupfern“ und diese in hohen Auflagen bekanntzumachen: Rubens z.B. beschäftigte eine große Anzahl Kupferstecher, die Abbilder seiner Gemälde anfertigten. Diese wurden zu Katalogen gebunden und in ganz Europa vertrieben, um für seine Werkstatt zu werben. Ein weiterer bedeutender Kupferstecher im Grenzbereich von Kunst und Dokumentation war der Städteporträtist Matthias Merian (1593 – 1650).
Diese Tradition des Kupferstichs als Medium wissenschaftlicher Dokumentation ist wiederum etwas, was den jungen Kupferstecher Falk Geißler fasziniert: Er begreift die lang andauernde Arbeit am einzelnen Stich als Chance, in seinen Bildern den Kern einer Sache zu offenbaren, „haargenau“ zu sein, denn haarfein sind die Linien, die in die Platte gestochen werden. Im Kupferstich verschwimmen Hintergründe nicht – sie sind „gestochen scharf“. Das ermöglicht einen Reichtum an Bilddetails bis in die Tiefe des Bildes wie in keiner anderen grafischen Technik.
Der Kupferstich hat zahlreiche Spuren in unserer Sprache hinterlassen. Auch wenn es sich langsam verliert, verstehen doch viele noch den ironischen Beiklang der Anrede „Mein lieber Freund und Kupferstecher“ im Sinne von „Oh, du Schlawiner“, eine Anspielung auf „Abkupferer“, die den Urheber des von ihnen als Stich verbreiteten Gemäldes verschwiegen und damit Lizenzgebühren vermieden.
Wie bei so mancher ausgefallenen Profession scheint es mir auch bei Falk Geißler so zu sein, dass nicht er den Kupferstich gefunden hat, sondern der Kupferstich ihn. Als ein Professor den Künstler, der 1983 in Oschatz geboren wurde, während des Studiums in Leipzig akribisch mit dem Bleistift stricheln sah, meinte er, für ihn könne vielleicht die alte Technik des Kupferstichs das Richtige sein. Geißler nahm den Vorschlag auch deswegen dankbar an, weil ihn das Teilen der Werkzeuge mit anderen Studierenden in der Radierwerkstatt nervte, beim Kupferstich kam ihm einfach niemand in die Quere.