Hans Ticha - Anhaltender Beifall. Skizzen und Grafiken aus der DDR
256. Frankfurter Grafikbrief aus Anlass der gleichnamigen Ausstellung im Novemer/Dezember 2024
„Anhaltender Beifall“ war der Titel eines Kataloges, den der Satire-Verlag der DDR, der Ostberliner Eulenspiegel-Verlag, 1991 herausgab und in dem zum ersten Mal die staatskritischen Zeichnungen Hans Tichas publiziert wurden, die dieser bis Ende 1989 bei – es war so dramatisch, wie es klingt – Gefahr für Leib und Leben geheim halten musste.
Der Titel des seit langem selbst im Antiquariat nicht mehr erhältlichen Buches hat in der letzten Zeit auf gespenstische Art und Weise eine neue Bedeutung erhalten, im umgekehrten Sinne: Jetzt hält – vorwiegend im Osten Deutschlands – der Beifall für das totalitäre Staatsgebilde DDR an, als habe es keine Todesstrafe für die Inanspruchnahme des Rechts auf freie Wahl des eigenen Aufenthaltsortes, keine Versehrung regimekritischer Schriftsteller mit radioaktiver Verstrahlung, kein Kujonieren all derer gegeben, die das Recht auf freie Meinungsäußerung wahrnahmen. Allein schon die Gleichsetzung angeblicher Meinungsdiktatur im heutigen Deutschland mit den Verhältnissen in der DDR, wie rechtsextreme Agitatoren sie vornehmen, verhöhnt all jene, die für ihre Zivilcourage schikaniert, verhaftet oder ausgebürgert wurden.
Hans Ticha ist diesem Schicksal nur knapp entronnen. Gegen ihn gab es, wie er später seiner umfangreichen Stasi-Akte entnehmen konnte, u.a. wegen Kontakten zu Westdeutschen und Bekannten im „kapitalistischen Ausland“ Ermittlungen wegen des „Verdachts der Begehung von strafbaren Handlungen gemäß § 215 Abs. 2“, in dem Bürgern der DDR Gefängnisstrafen drohten, wenn sie „Nachrichten, die geeignet sind, den Interessen der DDR zu schaden, im Ausland verbreiten oder verbreiten lassen.“ Wohlgemerkt: Hier ging es keineswegs um Staatsgeheimnisse, sondern um in der DDR öffentlich zugängliche Informationen. Bärbel Bohley saß für die Weitergabe von Ausschnitten aus DDR-Zeitungen an eine englische Journalistin drei Monate in Untersuchungshaft, nur starke Proteste im westlichen Ausland bewahrten sie vor einem längeren Gefängnisaufenthalt.
Hans Ticha, der seine einzigartige künstlerische Handschrift formal auf die Vorbilder aus dem Konstruktivismus aufbaute, inhaltlich aber der Wertschätzung von Alltagsgegenständen der Pop-Art-Künstler nahestand, konnte in einer Mangelgesellschaft wie der DDR schlecht die fehlenden Konsumgüter porträtieren – er bezog seine Anregungen aus der allgegenwärtigen Propaganda-Bilderwelt, in der DDR Pendant zu westlichen Werbeplakattafeln. Weit entfernt von einem Sozialismus à la Marx, Luxemburg und Liebknecht hatte die SED die kulturellen Traditionen der Arbeiterbewegung zu entleerten Ritualen der eigenen Herrschafts-Legitimation entfremdet:
„In der DDR knallte der Stechschritt aufs Pflaster, Ansprachen und ihnen folgende Beifallsstürme wollten kein Ende nehmen. Landauf, landab Fahnenweihen, Vorbeimärsche und Appelle. Ständige Selbstüberzeichnung gebiert aber unweigerlich Selbstkarikatur. „Meine Bilder“, so Ticha, „sind zum überwiegenden Teil Reflexionen der Selbstdarstellung der Herrschenden.“ (…) In Tichas Staatssatiren ist nichts verschlüsselt. Sie wären von jedermann (in der DDR) verstanden worden, weil sie allbekannte Herrschaftsrituale wiederholen, zu skurrilsterilen Kunstobjekten erheben. Die Staatsgötter an der Spitze, die Ordensverleiher und Bruderküsser fungieren als apparathafte Figuren eines absurden Theaters, desgleichen die massenhaft auftretenden Hochrufer und Fähnchenschwenker, kaum weniger wichtig für das Design der Diktatur.“ (Günther Feist, Kunsthistoriker, der selbst aus der DDR stammte, 2007)
Als Vorlagen für seine „Staatssatiren“ sammelte der Künstler Fotos aus dem „Neuen Deutschland“, dem SED-Zentralorgan, schuhkartonweise sortierte nach „Fäustereckern“, „Hochrufern“, „Anhaltendem Beifall“ usw. So absurd es klingt: Dafür hätte Ticha für längere Zeit im Gefängnis landen können. Wie bei all seinen Arbeiten hat der Künstler diese Bildmotive in zahlreichen Skizzen immer weiter auf die grundlegenden Formen reduziert, die ausgearbeitete Komposition mündete dann in solch ikonografischen großen Ölbildern wie der „Klatscher“ und entsprechenden Grafiken.
Im Nachhinein erstaunt die Unbeirrbarkeit, mit der Ticha diese Motive in seiner Zeit in der DDR immer wieder zeichnete und malte, obwohl die Arbeit daran mit enormem großen Aufwand und ebenso großer Geheimhaltung verbunden war; die buchstäblich betonierten Verhältnisse ließen je wenig Hoffnung darauf zu, diese Bilder irgendwann einem Publikum öffentlich präsentieren zu können. Man kann das sicher nur als seelische Notwehr verstehen, mit der die Verhinderung der eigenen Entfaltung als Künstler irgendwie auszuhalten war.
An Einkünfte aus dieser Malerei war natürlich nicht zu denken, seinen Broterwerb suchte und fand Ticha in der Illustration von Büchern und Magazinen, einem Genre, dem die Kulturfunktionäre keine große Beachtung schenkten. Der Künstler schreibt: „So erschien vor allem ab den 1960er Jahren einiges an Buchumschlägen und Illustrationen, die sich (statt am Sozialistischen Realismus) an der klassischen Moderne orientierten, in Auflagen von mehreren Tausend; bei einer ähnlichen künstlerischen Haltung im Tafelbild, das in einer Ausstellung vielleicht gerade einmal hundert Leute zu Gesicht bekamen, wäre es zu erbitterten Angriffen gekommen“. Beruhigend, dass es auch totalitären Regimen nicht gelingt, ihre Zensur lückenlos durchzusetzen.
Tichas politische Skizzen werden in diesem Umfang zum ersten Mal ausgestellt – den meisten Galerien sind sie zu kleinteilig. Auf dem Auktionsmarkt erzielen sie inzwischen erstaunliche Preise, sicher auch, weil sie beides sind: Kunst und Geschichte. Vor allem aber Zeugnisse künstlerischer Selbstbehauptung unter widrigsten Umständen. Und nur der guten Form halber: Die Kritik an der DDR kann man üben, ohne damit die Umstände von deren Vereinigung mit der BRD ohne neue Verfassung usw. gutheißen zu müssen.
Wolfgang Grätz
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